Die Erfindung des Metallbaukastens


Hier wird der Zeitraum bis 1913 betrachtet. Deshalb kommt hier der Märklin Metallbaukasten noch nicht vor. Den gab es ja erst ab Juni 1919.

Der Modellbaukasten des Gustav Lilienthal von 1888

Es gibt keinen alleinigen Erfinder des Metallbaukastens. Vielmehr ist es eine Vielzahl von einzelnen Ideen, die von mehreren Erfindern immer weiter entwickelt wurden, und die schließlich zu den heutigen Systemen führten.

Natürlich gab es, wie bei den meisten Erfindungen, eine wirtschaftlich besonders erfolgreiche Firma, die immer und immer wieder behauptete, ihr Gründer wäre der Erfinder schlechthin, und alle Mitbewerber wären Nachmacher. Freunde dieser Firma mögen das glauben. Historische Nachforschungen bringen aber andere Gesichtspunkte zu Tage.

Gustav Lilienthal Soviel bisher bekannt, beginnt die Geschichte mit dem Modellbaukasten von Gustav Lilienthal. Dieser Kasten kann als Vorläufer des Metallbaukastens angesehen werden.

Vor der Erfindung des Modellbaukastens hatte Gustav Lilienthal (Bild [Noschka,Knerr S. 19]), zusammen mit seinem Bruder Otto Lilienthal, dem berühmten Flugpionier, bereits den späteren "Anker Steinbaukasten" erfunden. Er verkaufte seine Rechte an dem Steinbaukasten jedoch gegen ein geringes Entgelt an die Firma F.Ad.Richter & Cie. mit der Versicherung, keine Spielzeuge gleicher oder ähnlicher Art mehr anzufertigen. Richter ließ das Verfahren zur Herstellung der Steine sofort patentieren. Er verstand es, den Baukasten, im Gegensatz zu Lilienthals anfänglichen Versuchen, gut zu vermarkten und verdiente sich an dem Baukasten - im wahrsten Sinne des Wortes - steinreich.
Jahre später versuchten die Brüder Lilienthal einen Neuanfang. Mit einem völlig neuen Verfahren zur Herstellung der Steine produzierten sie einen neuen Steinbaukasten. Das gefiel Richter nicht. Richter behauptete fälschlicherweise, Lilienthals Bausteine wären giftig. Geschäftsräume Lilienthals brannten ab. Schließlich strengte Richter einen jahrelang dauernden Prozess gegen die beiden Lilienthals an wegen Verletzung des Kaufvertrages. Gustav Lilienthal jedenfalls verlor 1887 nicht nur den Prozess, sondern als Folge davon auch sein gesamtes Vermögen und alle Verbesserungen, die er in seinen neuen Baukasten eingebracht hatte, an Richter. Selbst Otto Lilienthal, der die Steine für die Baukästen in seiner Fabrik herstellte [Lilienthal S. 46], verlor sehr viel Geld. Richter jedoch konnte jetzt die Auslandskontakte, die Gustav Lilienthal für den Vertrieb seines Baukastens aufgebaut hatte, zusätzlich für sich selbst vorteilhaft nutzen. [Noschka,Knerr S. 19ff]
Zum Steinbaukasten schrieb später Anna Lilienthal, Gustavs Gattin : "... und wieder war ein Fall, in dem der Erfinder von seiner Schöpfung nur Bitterkeit und Verluste bekommt, während ein anderer deren Wert und Gewinn einheimst, im Buche des Schicksals zu verzeichnen." [Lilienthal S. 31]

Aber Gustav Lilienthal hatte noch andere Ideen. Es schwebte ihm ein neues System, der Modellbaukasten vor. Da Gustav nach dem tragischen Prozessausgang kein Geld hatte, erfolgte die Patentanmeldung auf den Namen seines Bruders Otto Lilienthal, dem berühmten Flugpionier. Folgerichtig taucht dann auch Otto Lilienthal als Eigentümer des Patents von 1888 auf. Der Patentanspruch lautet:
Die Herstellung von Modellbauten aus Leisten verschiedener Länge, welche in einer gleichmäßigen Längeneintheilung vielfach gelocht sind und mittelst gerader oder gekrümmter V-förmiger Splintnadeln und dazugehöriger Keile verbunden werden, während die Flächenfüllung durch Einschieben von Platten in die an den Leisten angebrachten Nuthen bewirkt wird.

Lilienthals Modellbaukasten

Das Bild oben [Lingens] zeigt einen Kasten IV von Lilienthals Modellbaukästen. Er ist in mehrerer Hinsicht bedeutungsvoll. Denn er enthält nicht nur die regelmäßig gelochten Stäbe, sondern es sind auch Verkleidungsplatten aus Pappe in den Kästen enthalten, mit denen man die Leerflächen zwischen den Stäben ausfüllen kann. Die Pappplatten waren bis 45mm*95mm groß.
Die Maße der Holzleisten hat Otto Hahn mir genannt : Ein 7-Loch-Stab (Nr. III) ist 170mm lang, 10mm breit und 4-5mm dick. Der Lochabstand ist genau 25mm. Andere Stäbe haben Längen von 70, 120, 220mm (3, 5, 9 Loch). Die Löcher in den Stäben haben 2mm Durchmesser. (Danke an Marion Faber für letztere Angaben.) Der Modellbaukasten ist ein metrisches System.
Vielen Dank an Ulf Leinweber und Otto Hahn.

Den Modellbaukasten gab es in zwei Größenordnungen : Das Normalsystem hatte einen Lochabstand von 25mm, das Riesensystem dürfte einen von etwa 10cm gehabt haben.
Bis auf eine Windmühle mit drehbaren Flügeln waren alle Modelle statisch. Auf einer Messe war ein 8 Meter hoher Eiffelturm zu besichtigen.

Einen guten Eindruck von dem Lilienthal-System gibt ein hier verfügbarer Prospekt, der auf 4 Seiten das gesamte Angebot beschreibt.
Obwohl in den Prospekten Otto Lilienthal als Produzent genannt wird, wurde der Modellbaukasten allein von Gustav Lilienthal erdacht und hergestellt. [Halle S. 47]


Der Brückenbaukasten des Julius Weiss von 1892/94

Der Übergang von der Holzbauweise zu einer Konstruktion aus verschraubten Metallteilen mit regelmäßiger Lochung war nur ein kleiner Schritt, wie die Patente 67599 und 76747 von Julius Weiss (1892/1894) zeigen. Das Bild unten zeigt einen Ausschnitt aus dem Patent 76747. Auch die Verwendung von Stangen mit Gewinde-Endstücken als Abstandshalter wird in Patent 67599 schon gezeigt.
Bild aus Weiss-Patent

Die Patente von Julius Weiss wurden von F.Ad.Richter gekauft. Richter konnte den Anker Steinbaukasten mit den neuen Elementen um einen Brückenbaukasten ergänzen (Bild M. Schild). Der neue Kasten wurde von Richter im Jahr 1895 in geringer Stückzahl vermarktet. Er war aber einfach zu teuer. Später produzierte Richter einen einfacheren Brückenbaukasten. Siehe auch [Mey S.44-47].

Verschraubte, gelochte Blechstreifen und Winkelstücke beinhaltet ebenfalls das englische Patent 10040 des Lübecker Schlossers Emil Jenss aus dem Jahr 1895 [Hobson Fig. 1.3]. Die Teile sind zum Bau von Rahmen-Modellen, Gebäuden und Strukturen verschiedener Art geeignet.
Ein entsprechender Brückenbaukasten, genannt Der Eisenconstructeur, ist auch gefunden worden.


"Mechanics Made Easy", der Baukasten des Frank Hornby von 1901

Frank Hornby Im November 1901 bekam Frank Hornby [Bild : Henze S. 21, Ausschnitt] ein englisches Patent auf einen Baukasten mit folgenden Patentansprüchen (verkürzt übersetzt) :
  1. Flache Streifen aus starkem Material, gebohrt mit einer Reihe von Löchern entlang der längsseitigen Mittellinie in gleichen Abständen, dazu austauschbare Stifte oder Schrauben und Winkel.
  2. Eine Reihe von Teilen, wie flache Streifen, Winkel mit Löchern in gleich weiten Abständen für Rahmen, Eisenbahnschienen oder andere Strukturen; Stangen für Achsen, Scheiben für Räder, Röhren für Kamine usw.; diese Teile zusammengebaut können mechanische oder andere Objekte bilden.
  3. Eine Methode zur Befestigung von Rädern auf ihren Achsen, bestehend aus einem dünnen, gebogenen Stahlteil zum Festhalten an der Achse, versehen mit einer seitlichen vorstehenden Zunge, passend in eine Nut der Achse und in eine Nut im Rad.
  4. Eine Reihe von Teilen so angefertigt, dass sie durch Ausübung erfinderischen Scharfsinns zusammengesetzt und befestigt werden können, um mechanische und andere Spielzeuge oder Geräte darzustellen.
Die Punkte 1 und 2 waren keine fundamentale Neuigkeit, Punkt 4 war gar nicht schutzfähig. In den USA und Deutschland, wo Patente auf ihre Neuheit von Amts wegen überprüft wurden, hatte Hornby Schwierigkeiten. In den USA erhielt er nur für Punkt 3 ein US-Patent [Hobson S. 7ff].
In Deutschland versuchte er gar nicht erst, sein Patent anzumelden. Er bekam später jedoch Gebrauchsmusterschutz für einige seiner Teile.

Das folgende Bild zeigt einen Ausschnitt aus Hornbys Patentschrift.
Hornby Patent
Hornby war Angestellter in einer fleischverarbeitenden Firma. Er lieh sich Geld von seinem Chef und gründete mit diesem zusammen die Firma Elliott & Hornby, die ab 1901 Hornbys System Mechanics Made Easy vermarktete.
Elliott zog sich aus der Firma zurück, als diese auf eigenen Füßen stand. Hornby gründete 1908 die Firma Meccano Ltd., die alle Rechte der Fa. Elliott & Hornby übernahm. Seinen Metallbaukasten nannte er bereits 1907 Meccano [Love,Gamble S. 8-41].
Meccano war weltweit der erfolgreichste Metallbaukasten überhaupt.

Hornbys Verdienst ist es, dass er erstmals Räder auf Achsen dem Metallbaukasten beigefügt hat. Mit den gleichmäßig gelochten Blechstreifen und mit Schrauben und Muttern konnten jetzt fahrbare Modelle hergestellt werden. Das verhalf dem Metallbaukasten zum Durchbruch.


Der Holzbaukasten "Matador" von Johann Korbuly von 1901

Wenige Monate nach Hornbys Patentantrag fügte Johann Korbuly dem Holzbaukasten Räder, Achsen und als erster auch Zahnräder bei. Er entwickelte das Stecksystem Matador. Er bekam für sein System ein österreichisches Patent. Ein entsprechendes deutsches und ein englisches Patent sind bekannt.
Obwohl es sich um einen Holzbaukasten handelt, haben wir es hier mit einer wichtigen Parallelentwicklung zum Metallbaukasten zu tun, die den Metallbaukasten wesentlich beeinflusste. Korbulys System war sicher ein Vorbild für das heutige System "Lego Technic".
Korbuly Modell


"Walther's Ingenieur Bauspiel" von 1904

Eine wesentliche Verbesserung der Befestigung der Räder auf den Achsen erfolgte durch Franz Walther, der Gewindewellen benützte.
Räder und auch Flacheisen konnten an der Welle mühelos befestigt werden und sich so mit der Welle drehen. Hornbys unzulängliche Art, Räder auf Achsen mit Klammern fest zu halten, wurde so korrigiert.
Das Modell unten entstammt dem ersten bekannten Vorlagenheft von "Walther's Ingenieur Bauspiel", das 1904 erstmals erschienen ist. Walther ließ sich dieses Verfahren aber erst 1911 als DRGM schützen.
Walther's Ingenieur Modell


"American Model Builder", der Baukasten des Francis Wagner von 1911

Teile AMB Eine bahnbrechende Verbesserung der Radbefestigung auf Glatten Wellen wurde 1911 (spätestens 1912) von Francis Wagner in dessen System "American Model Builder" eingeführt. Wagner brachte an seinen Rädern eine Nabe mit Feststellschraube an. Seine Neuerung ließ er sich jedoch nicht patentieren oder anders schützen.

Die Teile des Systems American Model Builder zeigen folgende Links : Blatt 1 und Blatt 2.

Wagner war in den USA ein bedeutender Konkurrent zu Hornby. Er konnte seine Baukästen wesentlich kostengünstiger verkaufen. Leider kopierte er Teile von Hornbys Vorlagenheften und druckte diese nach. Auch machte er Hornbys Baukästen in ihrem äußerem Erscheinungsbild nach.
Hornby strengte daraufhin in den USA einen Prozess an, und Wagner wurde wegen Copyright-Verletzung und unfairem Wettbewerb verurteilt. [Love,Gamble S. 50]
Wagner wurde jedoch nicht wegen Patentverletzung verurteilt, wie manchmal geschrieben wird. (Es ging dabei um US-Patent 1079245 über "Perforated Plates". Siehe Details.)

Wagners Neuerung, die Nabe mit Feststellschraube, erschien 1913 auch bei Hornby - also etwa ein Jahr später. Hier war offensichtlich Hornby der Imitator.


Nach 1915 war der Metallbaukasten in seiner endgültigen Form fertig entwickelt. Nur noch Änderungen an den Teilen brachten eine Weiterentwicklung. Dabei dürfte der mehrreihig gelochte Trix Blechstreifen nach dem Patent von 1930 noch die größte Innovation gewesen sein.


Andere Metallbaukasten-Erfinder ab 1890

In dieser Zusammenstellung wurden einige wichtige Systeme nicht genannt, die im weiteren Sinne auch Metallbaukästen sind. Aber diese Systeme haben weder gleichmäßig gelochte Blechstreifen noch bewegliche Modelle.

Zu den nicht genannten Systemen zählen die folgenden Diese Systeme enthalten Teile aus Metall und können deshalb den Metallbaukästen zugerechnet werden.

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